Zum Tod von Günther Grass, der am 13. April 2015 in Lübeck 87jährig gestorben ist.

 

Über die Literatur des Nobelpreis-trägers ist viel geschrieben worden und wird es zukünftig viel zu schrei-

ben geben, denn sein ausuferndes Werk wird positiven wie negativen Kritikern, Begeisterten wie Veräch-tern, noch viel Stoff für Interpre-tationen liefern. Ich selbst werde mir gewiss das eine oder andere mir noch unbekannte Buch vor nehmen, nachdem mir als Junger “Katz und Maus” und natürlich die “Blechtrom-mel” sehr gefallen haben. Wobei der Film von Schlöndorf das seine tat, dass die Figur des kleinenTrommlers, mit seinen erstaunlichen Fähigkeiten, einem lebenslang in Erinnerung bleiben werden.

Als nach dem Krieg Geborener war Günter Grass für mich, wie für viele meiner Generation, das Vorbild eines furchtlosen und wortgewaltigen Men-schen, der gegen das Gekeife einer mächtigen, politischen Reaktion vor allem in Gestalt von CDU/CSU in Gesellschaft und Regierungen von Bund und Ländern des westdeut-schen Nachkriegsdeutschlands in der Öffentlichkeit auftrat und Ihren Adepten das Fürchten lehrte. Zu-sammen mit Siegfried Lenz, Heinrich Böll u.a. waren Günter Grass - er besonders!- ohne Zweifel die Speer-spitzen einer sich demokratisch ver-stehenden, linken Opposition und für viele von uns Jungen ein Ansporn uns in zahlreiche gesellschaftliche Belange einzumischen, wo es die Herrschenden lieber gehabt hätten, wir hätten das nicht getan. (Manch-mal unsere Eltern auch...)

 

Aber die Zeit war nicht so. Interna-tional begehrte die Jugend auf und ein neues, solidarisches Bewusstsein entstand. An den Autobahnauffahr-ten lagerten nicht selten hunderte junger Leute und wurden mitgenom-men im Laufe des Tages zur Oma in die Nachbarstadt, aber auch in die große, weite Welt. Auch ich reiste so wie viele unserer Generation. 

 

So ergab sich jedenfalls in den sech-ziger/ siebziger Jahren  eine große Durchmischung von Diskussions- und Aktionsfeldern, die gesellschaftlichen Konflikte wuchsen, aber das Selbs-bewusstsein der Menschen auch. Es gab große Demonstrationen und politischer Disput, zu forderst war Günter Grass dabei. In vielen Fern-sehrunden war er streitbar präsent und seine scharfen Artikel in Zei-tungen und Magazinen wurden heftig in intellektuell orientierten Kreisen diskutiert sowie international auch beachtet. Eine aufregende und spannende Zeit!  

So lernten wir im Westen Deutsch-lands Demokratie, die wir beharrlich BRD nannten, in Abgrenzung zu den herrschenden, reaktionären Kräften, die lange ein Alleinvertretungsan-spruch in der Welt als "Deutschland" beanspruchten. Erst Willy Brandts Ostpolitik gab den politischen Spiel-raum, mit der DDR-Regierung ins Gespräch zu kommen, was letztlich auch der Opposition der DDR nutzte und 1989 zum Mauerfall führte. Aus

 

 

Hier im Weiteren ein Zitat von Günter Grass von 1968 (!!!) 

 

 

 

 

dieser frühen Zeit der sechziger/ siebziger Jahre mit dem öffentlich gewordenen, agilen Günter Grass, erwuchs auch mein politisches Bewusstsein. Seinen berechtigten Protest gegen die wirtschaftlichen und politischen, oft kriminellen Ver-werfungen im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD wird nun end-gültig Literatur geworden sein, wie er ihn in seinem Buch "Ein weites Feld" nieder gelegt hat.

Was sein Agieren gegen die offizielle

israelische Politik betrifft, stimmte ich

ihm nicht in allem zu, sein Gedicht

in dieser Sache halte ich für miss-

lungen. Obwohl Kritik an Israels Poli-

tik gegen die Palästinser berechtigt ist, wie das auch die politische Oppo-sition in Israel das so sieht, aber leider bei der Mehrheit der Israelis kein Gehör findet, die immer wieder auf Rache setzt und auf dem Kreis-lauf von Rache und Gegenrache nicht herauskommen will. Aber nur der Sieger kann nachgeben. Eine Lehre,

die leider die Mehrheit der Israelis nicht beherzigen will. Eine Tragödie...

 

Auch sein spätes Geständnis in sei-ner Biografie als 17jähriger in der Waffen-SS gekämpft zu haben bis zu seiner schweren Verwundung, beein-

trächtigte bei mir wenig sein positi-ves Bild. Als Nachkriegskind waren mir viele Erlebnisse der Kriegsgene-ration bekannt. Es zählte für mich

das politische Verhalten in der

Demokratie, - und da gehörte Günter Grass gewiss zu den Guten! 

 

Und Grass war nicht zuletzt Bild-hauer, Maler und Grafiker, der seine Bücher selber gestaltete. Ich weiß nicht mehr wann es war, ich denke Ende der sechziger Jahre, da lieferte sich Günther Grass öffentlich ein "Duell" mit dem damals interna-tional bekannten abstrakten Künstler Rudi Bearwind. Sie porträtierten sich gegenseitig. Als Kunststudent, lernte ich Bearwind in Mannheim persönlich noch kennen, bevor er starb. Ich sah  mir Ausschnitte dieses "Duells" spä-ter im Fernsehen an. Es ging wohl unter allgemeinem Gelächter unent-schieden aus, beide Porträts waren annehmbar, was zeigt, dass die Frage von Abstraktion in der Kunst keine Frage des “Könnens” war und ist, sondern eine Frage der künstleri-schen und gestalterischen Entschei-dung.

 

Ich denke, der damalige Heißsporn Günter Grass provozierte dieses Duell mit Rudi Bearwind, weil er be-weisen wollte, dass Tradition einen Sinn hat. Bei Rudi Bearwind trat er damit offene Türen ein. Was für uns Junge damals keine prinzipielle Frage war. Wir wollten immer alles, so oder so. Immerhin wurden damals über solche Fragen der Kunst noch öffent-lich diskutiert. Wen würde das heute noch interessieren? 

 

Wie sagte Klaus Staeck letztens im 
Interview tief bewegt zum Tode von Günter Grass? Im heutigen “Bieder-meier” fehle er uns erheblich. Dem schließe ich mich an.

 

Norbert Herrmann

24.April 2015

 

http://grass-haus.de/de/51/das-museum.html
              

 

 

 

 

In den Blätter für deutsche und internationale Politik, Ausgabe 5´15 druckte die Redaktion anlässlich des Todes von Günter Grass den ersten Teil einer hellsichti-gen Rede von Grass ab, die er zum 1.Mai 1968 in Hildesheim, kurz nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke, gehalten hat.

 

 Zitat:

 

"Der Protest der Jugend hat die Unsicherheit unserer unzulänglich etablierten Demokratie offenbar gemacht. Dieser Erfolg ist zweideutig: Entweder veranlaßt er längst überfällige Reformen, von der Mitbestimmung über die Parlamentsreform bis zur Ablösung des bisherigen Nato-Vertrages durch eine gesamteuropäische Friedensordnung, die die Staa-ten des Warschauer Paktes miteinbezieht - oder es passiert, wie bisher, nichts; dann wird die nun offenbare Unsicherheit falschen Propheten einträgliche Märkte und Gratis-werbung frei Haus bieten." (siehe S.116)

Im Weiteren beklagte Günter Grass den Irrweg der SPD, die sich von ihren Wurzeln entfernt habe, - da war die erste "Große Koalition"! Dem ist wohl angesichts der heutigen Situation nichts hinzuzufügen... 

 

Außer vielleicht Autobiografisches in eigener Sache:

 

Im Mai 1968 war ich 20, bald 21 Jahre alt und in einer Panzereinheit der Bundes-wehr. Als Kriegsdienstverweigerer kämpfte ich mit guten Gründen um das im Grundgesetz verbürgte Recht auf Verweigerung. Unsereins ging damals drei Wochen dafür ins Bundeswehrgefängnis, auch ich. Außerdem wurde ich zu einer zusätzlichen Gefängnisstrafe wegen Befehlsverweigerung zur Bewährung vom Amtsgericht ver-urteilt. Trotz dieser und anderer Repressionen wurde ich letztlich staatlich anerkannt, wie viele aus meiner Alterskohorte, die sich nicht klein kriegen ließen. Die Zahl der Verweigerer stieg damals sprunghaft an und die herrschenden politischen Parteien einigten sich im Bundestag darauf, das Grundgesetz einzuhalten und nicht wie vor-her mit Füßen zu treten. Was (in diesem Punkt) Bestand hat bis heute. Ich leistete dann noch ein halbes Jahr Zivildienst in einer Psychiatrie.

 

Letzter Eintrag:

13.Mai 2015

Norbert Herrmann