Fortlaufende Fotos: Phänomenologische Eindrücke als Collage aus den zwei Veranstaltungen. (siehe unten) Fotos: Gretel Kawohl, Norbert Herrmann

Künstlerhaus Schirnding in Oberfranken, nahe der tschechischen Grenze:

Vernissage der Ausstellung "KUNST, JENSEITS VON FIGURATION UND KLASSISCHER ABSTRAKTION". Es werden über 30 Werke von Norbert Herrmann am Freitag, 08.April 2016 um 19 Uhr gezeigt. Die Ausstellung geht bis zum 08.05.2016 .

 

Öffnungszeiten: 

Samstag / Sonntag, 14.00 - 17.00 Uhr

und nach Vereinbarung

 

Künstlerhaus Schirnding e.V.

Egerstraße 3

95706 Schirnding

1. Vorsitzender Reiner Wohlrab

Erika Klos und Norbert Herrmann, 

Foto: Gretel kawohl-Herrmann

Erika Klos, gerade 80 Jahre jung geworden, ist renommierte, auch über deutsche Grenzen hinaus gefragte Künstlerin, die zur Ausstellungseröffnung die Laudatio zur Kunst von Norbert Herrmann hielt. Sie ist die Gründerin des Kunsthauses Schirnding und ergriff das Wort, nachdem der 1. Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins, Reiner Wohlrab, die neue Saison eröffnet hatte und die anwesenden Gäste begrüßte.

 

Erika Klos hielt sich nicht lange mit dem Werdegang von Norbert Herrmann auf, sondern brachte dessen visuellen Ambivalenzbegriff in Auseinandersetzung mit Victor Vasarely auf den Punkt: Im Gegensatz zu Vasarely seien nicht lediglich Wahrnehmungstäuschungen als Augenreize Programm, sondern echte, wenngleich illusionistische Ebenen der Wahrnehmung zwischen Vordergrund und Hintergrund, die in der Vervielfachung gegensätzliche Seh-Eindrücke erzeugten, die durch eine paradoxe Schattengebung ambivalente Wahrnehmungen ergeben würden. Man wisse im Detail nie, was ist nun Vordergrund, ja, den gebe es - doch gleich wird mit wanderndem Blick auf dem Bild dieser wieder zum Hintergrund und umgekehrt. Norbert Herrmann, fasst die Laudorin zusammen, sieht das als Charakteristikum unserer Zeit, denn in der Tat, wüssten wir nicht oft was ist nun wichtig, was ist Sache, was nicht? Solche Fragen seien dem Künstler wichtig (siehe hier unten sein Text) und er gebe sie in seiner Kunst an die betrachtende Person zurück, bzw. beziehe sie mit ein.

 

Zum Schluss bat sie Norbert Herrmann an ihre Seite und es gab noch eine kleine Interview-Sequenz, in dem u.a. die Ursprünge seiner Kunst zur Sprache kamen, die er mit den Worten zusammen fasste: "Meine Auseinandersetzung mit den Fragen zur Kunst gehen in die 80/90iger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Damals waren die neoexpressionistischen "Neuen Wilden" in aller Munde in der Kunstszene. Ich sagte mir damals: So nicht!" 

 

Wie meist bei einer großen Einzelausstellung, gibt es auch ein neues Bild im Format 100x100 cm. Siehe auch auf der Homepage unter: Freie Kunst / Jüngere Arbeiten

Im Anschluss an diese Laudatio wurde das Konzert: "Cello auf Abwegen" angekündigt (Zur bildenden Kunst sehr passend, wie auch die Cellistin schmunzelnd und mit Blick auf einige Bilder anerkennend feststellte). Eine musikalische Weltreise mit Joanna Sachryn (Cello) und Walter Schreiber (Geige und Sprecher). Beide absolute Könner und phantastische Virtuosen ihres Fachs:

 

Joanna Sachryn stammt aus einer polnischen Musikerfamilie, ist international in zahlreichen Konzerten als Solistin tätig und ist seit 2014 Gastprofessorin an der renommierten Tongji University in Schanghai.

 

Walter Schreiber war u.a. Konzertmeister des Stuttgarter Kammerorchesters und musiziert in verschiedenen namhaften Ensebles in Europa, Amerika und Ostasien.

 

Es war eine phantastische Darbietung, die unglaublich lehrreich und zugleich ein wahrer Ohrenschmaus war. Wann bekommt man mal mit, wie die großen Komponisten ihrer und unserer Zeit miteinander sprachen, scherzten oder stritten? Nicht zuletzt gab es einen wunderbaren Text, angeblich von einem Cello, wie es sich zwischen den Schenkeln einer schönen Frau fühlt... 

 

Die Homepage nicht des Cellos, sondern der wunderbaren Cellistin: www.joannasachryn.com 

 

 

Norbert Herrmann sagt: "Diese Roll-Up genannte Gerät, zwei Meter hoch und 80 cm breit, war für mich das Herzstück der Ausstellung. Gewiss will jeder Künstler mit Ausstellungen auch etwas verkaufen. Doch dieses Roll-Up war unverkäuflich. Es stand einfach nur im Raum. Es hatte eine Grundform von mir als S/W-Muster auf der Oberfläche und dann einen aktuellen Text, der im Folgenden lautet:

 

Kunst, jenseits von Figuration und klassischer Abstraktion.

 

Themen meiner freien Kunst sind nicht spezielle Inhalte, die meines Erachtens sowieso im Rauschen der Ambivalenzen heutiger Kommunikationsformen untergehen und der medialen Bilderflut lediglich eine beliebige „Künstler-Meinung“ hinzufügen könnte. Alle Kunstschaffende sind jedoch, wie nahezu jeder Mensch, mehr oder weniger in das Geschehen ihrer Zeit involviert. Je nach Temperament, Weltanschauung und Sensibilität geben sie diesem direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst Ausdruck, was sich selbst in der Abwendung von allem Weltgeschehen Geltung verschaffen kann, - aber zweifellos nicht muss! Einen Determinismus gibt es in Kunst und Kultur nicht…

 

Gleichwohl und in diesem Sinne, können konstruktive Elemente zur Verdichtung von wahrgenommenen Eindrücken künstlerisch genutzt werden. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts geschieht das auf vielfältige Weise und heute nahezu auf der ganzen Welt. Ambivalente „Seh-Erfahrungen“ zielen in meinen Arbeiten darauf ab, eine psychisch und intellektuell relativ starke Irritation zu bewirken, die den Verwerfungen und vieldeutigen Optionen unserer Zeit Ausdruck geben.

 

Am Anfang der Moderne beschäftigten sich bekanntlich viele Künstler ( und viele tun das auch noch heute) mit der Vermeidung der Beziehung von Figur und Grund in der zweidimensionalen Darstellung des Bildes. Das heißt, sie versuchten Elemente ihres Sujets auf der gleichen visuellen Ebene darzustellen. Sie wollten so dem Zwang der Perspektive entgehen (siehe Kubismus). Aber auch allein die Farbe hat, wie wir wissen, räumliche Wirkung. Ich gehe den umgekehrten Weg und dynamisiere Figur und Grund, schaffe also Räume, oft unter Einbeziehung der Farbe, nicht zuletzt durch eine nicht selten paradoxe Schattengebung, die auf  scheinbare, unterschiedliche Lichtquellen verweisen.

 

Warum? Ganz einfach: Man weiß in der Tradition der abendländischen Kunst, dass „Licht“ bedeutungsmäßig das Synonym für „Wahrheit“ ist. Doch welche Wahrheit ist gemeint? Es pluralisiert und polarisiert sich heutzutage die Weltwahrnehmung und demzufolge die Wertentscheidungen der Menschen zusehends. Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten. „Das komplexe Ursachengeflecht heutiger Krisen schafft immer neue Gründe für Krisen und Konflikte, die sich für schwer lösbare vernetzten Kriegen und Gewaltspiralen aufschaukeln können“, analysiert der Wissenschaftler Prof. Jürgen Scheffran warnend (1). Jeder Blick in die Medien kann einem das täglich bestätigen…

Was nicht bedeutet, dass es keine Wahrheiten und den Unterschied zwischen Gut und Böse gibt. Aber die Gewissheiten in diesem Zusammenhang schwinden, vieldeutige Optionen des Denkens, Fühlens und oft widersprüchlichen Handelns tun sich auf. Der Zwang zu Entscheidungen des „So-oder-So-Handelns“ kann uns aber niemand abnehmen, weil auch das Nichtstun handeln ist.

Unsere Visualität jedenfalls, ist prinzipielle in der Lage, widersprüchliche Zusammenhänge in der bildlichen Darstellung zu erkennen und zu bewerten. Subjektiv wird jeder dies bei einigem Nachdenken auf allgemeine Vorgänge in Kultur und Gesellschaft sowie auch auf sein eigenes Leben beziehen können, wo täglich eine Vielzahl von Handlungsoptionen auf uns warten - man nimmt sie wahr oder nicht -, deren Konsequenzen nicht selten äußerst widersprüchlichen Charakter haben können. Manchmal ist uns das bewusst, nach Sigmund Freud meist nicht…

 

Roland Barthes sagte über die Mythen des Alltags: „Der Mythos von der condtio humana stützt sich auf eine sehr alte Mystifikation, die seit jeher darin besteht, auf den Grund der Geschichte die Natur zu setzen. Der klassische Humanismus postuliert, dass man, wenn man ein wenig an der Geschichte der Menschheit kratzt oder der oberflächlichen Verschiedenheit ihrer Haut sehr schnell zur tieferen Schicht einer universalen menschlichen Natur gelange. Der fortschrittliche Humanismus muss dagegen stets daran denken, die Begriffe umzukehren, die Natur, ihre „Gesetzmäßigkeiten“ und ihre „Grenzen“ unaufhörlich aufzureißen, um darin die Geschichte zu entdecken und endlich die Natur selbst als historische zu setzen.“(2)"

 

Norbert Herrmann,

April 2016, geringfügige

Korrektur:

09.11.2020

 

Anm. (1)

Scheffran, Jürgen, Artikel: „Kettenreaktion außer Kontrolle“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 3/16

 

Anm. (2)

Bartes, Roland, „Mythen des Alltags“, Frankfurt am Main, 1974, S.16ff